Meinung: Warum der Ausbildung (und dem Handwerk) die Zukunft gehört

 

Wir schreiben das Jahr 2019. An den deutschen Hochschulen studieren fast drei Millionen junge Frauen & Männer. 2017 entschieden sich 4 von 5 Abiturienten nach dem erreichten Abschluss für eine akademische Laufbahn. Das waren somit etwas mehr als 350.000 Menschen, die sich für ein Studium und damit gleichzeitig gegen eine klassische Berufsausbildung entschieden haben. Bei einer solchen Vielzahl an Möglichkeiten ist das natürlich auch wenig verwunderlich. Von angewandten Freizeitwissenschaften über Konferenzdolmetschen im Master bis hin zu zum Studiengang Blockflöte ist schließlich fast alles vertreten. Da will wohl überlegt sein, womit man später sein Geld verdienen möchte.

Die Anzahl der Auszubildenden hingegen ist seit dem Jahr 2008 fast ausschließlich rückläufig. Im Jahr 2017 gab es 1,3 Millionen „Azubis“ und damit 300.000 weniger als noch vor 10 Jahren. Diese Zahlen sollten uns zu denken geben, vor allem weil nahezu alle Branchen betroffen sind. Wer hat nicht die jüngsten Aussagen unseres amtierenden Gesundheitsministers im Kopf, der Pflegekräftemangel mit Mehrarbeit durch die ohnehin schon überlasteten Pflegerinnen und Pfleger bekämpfen will.

Woran liegt es also? Was ist der Grund?

 

Man kann hier sicherlich von sehr vielen Faktoren sprechen; den einen Grund gibt es ohnehin nicht. Doch einige stechen einfach hervor:

 

Gesellschaftliche Konventionen:

 

Der Satz „Du sollst es später mal besser haben, als wir“  von unseren Eltern und die Erwartungen aus unserem Umfeld haben sich über Jahrzehnte und Generationen eingebrannt. Beginnt man trotz des höchstmöglichen Schulabschlusses in Deutschland, dem allgemeinen Abitur, eine Ausbildung, erntet man oft verwunderte Blicke und teilweise auch Unverständnis. Schließlich hat man sich hierfür drei (G8) oder sogar vier Jahre (G9) länger als die Artgenossen anderer weiterführender Schulen geplagt. Gerade jungen Erwachsenen fällt es hierbei schwer, dieses Muster zu durchbrechen, sind sie doch gerade damit beschäftigt, sich selbst zu finden und eigene Meinungen zu wichtigen Themen zu entwickeln. Dabei sollte gerade dieser Prozess frei von Zwängen sein, denn nur wer sich für etwas begeistern kann, hat später auch die Möglichkeit, gut darin zu sein (eine weitere Phrase, aber die stimmt wenigstens).

 

 

Klischees:

 

Eigentlich dürfte die Ironie (siehe Bild) offensichtlich sein. Trotzdem halten sich Klischees teilweise so hartnäckig, dass sie jeden potentiellen Interessenten für das Berufsfeld schon lange im Voraus in die Flucht schlagen. Ich meine, wenn dem so wäre (und überlegen Sie bitte ganz genau, wenn Sie gerade zufällig in einem Gebäude sitzen): wer ist für unsere Infrastruktur zuständig? Dafür, dass wir von A nach B kommen und ein Dach über dem Kopf haben? Dass wir unseren Lieblingsverein in einem riesigen Stadion anfeuern können? Dass wir uns in einem Krankenhaus behandeln lassen und in einem Supermarkt einkaufen gehen können? Die Liste ist endlos. Das Schöne ist doch, nachher sagen zu können: „Hey, das habe ich mit meinen eigenen Händen geschaffen.“ Denn gebaut wird nicht in schönen Büros oder an großen Konferenztischen. Die eigentliche Arbeit findet tagtäglich draußen bei jedem Wetter statt.

 

Bezahlung:

 

Hierzu gibt es verschiedene Meinungen, die häufigste ist aber: wer studiert, verdient im gesamten Berufsleben mehr. Und das stimmt. Zwar verdienen Auszubildende bereits ab Beginn Ihrer Tätigkeit ein Gehalt und tragen in der Regel keine Kosten für Studienkredite zu Beginn der Karriere mit sich herum. Dennoch holen Akademiker mit wesentlich höheren Einstiegsgehältern über die Jahre auf und haben über das Arbeitsleben gesehen ein höheres Einkommen. So der aktuelle Stand.

Aber wer in den vergangenen Jahren auf Hilfe aus dem Handwerk angewiesen war, wird vielleicht bemerkt haben, dass es gar nicht mehr so leicht ist, zeitnah einen Termin zu bekommen. Die Firmen sind gerade in Ballungsgebieten bereits an der Kapazitätsgrenze. Das ist das Ergebnis eines schleichenden Prozesses, nämlich die Verschiebung zwischen Angebot und Nachfrage, welche auch durch die aktuelle Wohnsituation vielerorts begünstigt wird.

Überall wird von bezahlbarem Wohnraum gesprochen (die Nachfrage). Hierbei müssen allerdings genügend Wohnungen zur Verfügung stehen (was nicht der Fall ist). Dafür werden Handwerker (in diesem Fall die Anbieter ihrer Dienstleistung) benötigt, die wiederum an anderer Stelle fehlen und nicht adäquat ersetzt werden können. Man sieht also: Es gibt nicht nur einen Nachfrageüberhang. Ebenso ist eine deutliche Verschiebung in Richtung Wohnungsbau zu erkennen. Das Problem: das Bauwesen kann somit weder die eine, noch die andere Seite (die Privatkunden) vollständig bedienen.

 

Da es aber hier an Personal fehlt, bleibt diese Nachfrage unbefriedigt und das Bauen wird teurer, denn knappe Güter kosten Geld. Geld, mit dem Arbeitgeber aus der Branche neue Mitarbeiter anwerben können. Und müssen, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. Sonst hat das Konsequenzen für den Endkunden. Ein Spruch fasst die mögliche Zukunft gut zusammen: „In einigen Jahren sitzen überall in Deutschland Menschen rum, die studiert haben, und müssen drei Monate auf einen 70-Jährigen Handwerker warten.“ Man könnte noch ergänzen „ … und können ihn womöglich kaum bezahlen.“

 

Fazit:

 

Jedem Menschen steht es frei, das zu tun, worauf er Lust hat. Wir brauchen schließlich nicht „nur“ Handwerker, Bäcker, Krankenpfleger oder Busfahrer. Genauso wichtig sind unsere Lehrer, ITler oder die Menschen aus den Bereichen Wissenschaft und Forschung. Aber vielleicht ist es eine Idee, mit offenen Augen durch die Welt zu laufen und sich intensiv mit der Berufswahl zu beschäftigen. Nur weil jemand studieren darf, ist er nicht gezwungen, dies auch zu tun. Und wer weiß: vielleicht entscheidet sich ja doch noch der ein oder andere gegen den Master Blockflöte und stattdessen für eine Ausbildung zum Maurer.